Sie sind zu hilfsbereit und sollten sich endlich um sich selbst kümmern?
Betreff: Kann der Mensch sich über das Du verlieren? Im Gegensatz zur Fixierung auf das Ich?
Sehr geehrter Dr. Bonelli,
ich schaue unglaublich gerne Ihre Videos und habe von Ihnen sehr viele Anregungen und Erkenntnisse bekommen. Das letzte Video welches ich von Ihnen gesehen habe war „Ungewollt Single? Hören Sie auf um sich selber zu kreisen“
„Der Mensch wird am Ich zum Du“ ist ein wunderschöner Satz, führt mich allerdings zu dem Grund meiner Email:
Ich bin seit 4 Monaten in Therapie aufgrund einer Depression. Die Therapie läuft gut, allerdings ist in meinem Fall das Thema „bei mir bleiben“.
Jahrelang habe ich anderen gegeben und gegeben und mich um andere gekümmert, statt um mich selber. Ich habe einige Aktivitäten (Club, Bars, Party) betrieben und es ist mir schwer gefallen dies zu ändern, obwohl es mich gelangweilt hat und mich unglücklich gemacht hat. Meine Freunde wollten immer zur nächsten Party, zum nächsten Club und waren enttäuscht wenn man nicht mitkommt.
Ich bin die Freundin die sich bis 3 Uhr nachts mit anderen über ihr Liebesleben, Familienprobleme, Identitätskrisen oder Tragödien unterhält.
Ich komme aus einer großen Familie (wir sind mehr Kinder zu Hause gewesen als Sie haben) und ich bin die jüngste. Die Ehe meiner Eltern lief gut und zu meinen Geschwistern habe ich ein sehr enges und liebevolles Verhältnis. Leider ist mein Vater jung schwer verunglückt (ich war 14) was uns alle hat enger rücken lassen.
Ich bin mit dem Du aufgewachsen, habe mich allerdings die letzten Jahre abgearbeitet an anderen Menschen. Ich habe das Gefühl emotionale Bedürfnisse anderer schnell zu erfassen und Ihnen zu geben, was sie brauchen.
Es fällt mir aber schwer meine eigenen Bedürfnisse zu artikulieren – weil ich paradoxerweise niemanden mit meinen Bedürfnissen belasten möchte.
In den ersten Therapiestunden habe ich fast nur über andere geredet. Was andere fühlen, sagen, meinen, denken und tun.
Die Therapie hat sich angefühlt wie die pure Egozentrik (naja, ist sie ja auch). Es ist für mich merkwürdig, so viel über mich selber zu reden und nachzudenken – Das musste ich erst einmal lernen (die gesunden Art und Weise, also psychoedukativ Richtung Selbsterkenntnis statt depressives Grübeln). Ich musste lernen, auf mich selber zu achten und „bei mir zu bleiben“.
In Ihrem oben erwähnten Video ist sozusagen der Perfektionismus die Ursache der Symptomatik.
Ich würde mich freuen, wenn sie eine andere Facette aufgreifen würden in einem Video. Menschen die nicht zu sehr im „Ich“ verharren, sondern sich in dem „Du“ Verlieren.
Ich habe keine Idee von einer gröberen Kategorisierung, davon was dahinter steckt („People Pleaser“? Altruismus? …), wie soll man Dinge vollkommen durchdringen, die man nicht benennen kann?
Beim wiederholten Lesen der Nachricht ist mir noch eine Idee gekommen – Es ist wie ein Verlust der „Kontrolle“ (oder eher unzureichende Grenzen?) über den Aspekt der Agape in der Liebe. Ist eine Hingabe die sozusagen zur einer Art Aufgabe führt, nicht auch pathologisch? (wobei ich das in meinem Fall nicht so drastisch formulieren würde)
Ich finde sehr interessant was Sie über Selbstwert und Selbstliebe sagen und dass es eher um Würde geht. Ich denke, dass so viel darüber geredet wird, weil viele Menschen nicht so agieren als würden sie sich „lieben“. Sozusagen Handlungen vollziehen die nicht von einem liebevollen Umgang mit sich selber zeugen. Vielleicht sollte man in dem Ganzen von Achtung sprechen? Selbstachtung anstatt Selbstliebe. Das Leben mit Achtung vor sich selber bestreiten (und vor allem im Dating). Damit schließt sich fast der Kreis zu den eigenen Werten, oder? Wie soll man sich selbst achten, wenn man nicht weiß was man achtet?
Eigentlich sollte die Nachricht nicht so lang werden, ich hoffe ich habe mich einigermaßen verständlich ausgedrückt.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihre Hannah, großer Fan 😉