„Es war doch nur Sex!“ – Über Ausreden beim Fremdgehen und Schuldverdrängung
FALL 1
Herr Alfred G., ein 56jähriger Mann kommt zum Psychiater. Auf die Frage nach dem Überweisungskontext gibt er an, dass er auf „Befehl seiner Gattin“ komme. Die halte ihn nämlich für sexsüchtig und wolle sich scheiden lassen, wenn er sich nicht schleunigst in Therapie begebe. Und für seine Ehe tue er alles, deswegen sei er da.
Sie habe blöderweise ein paar Pornos auf dem Computer gefunden, die er mit anderen Frauen gedreht habe. Im Grunde nicht der Rede wert, schon ältere Sachen, er habe ja eigentlich schon alles gelöscht, er wisse gar nicht, wie sie noch etwas habe finden können.
Er sei seit über 30 Jahren glücklich verheiratet und habe halt ab und zu die eine oder andere Affäre gehabt.
Auf Nachfrage und nach umständlichen Überlegungen wird die Zahl der Frauen mit über 50 angegeben, mit denen teilweise jahrelange Verhältnisse gepflegt wurden. Früher hätte er neben seiner Frau etwa sechs Gespielinnen parallel gehabt, das habe sich im Laufe der Jahre auf momentan drei reduziert.
Aber er wäre immer sehr rücksichtsvoll mit seiner Frau umgegangen – denn er habe immer versucht, dass sie es nicht merke. Er liebe seine Frau nämlich über alles. Und das mit den anderen Frauen, das wären nur so körperliche Sachen, nichts Ernstes, da habe er schon aufgepasst.
Sein Herz schlage nur für seine Ehefrau, da könne sich der Therapeut sicher sein. Deswegen wolle Herr G. auch die Scheidung nicht. In der Zwischenzeit habe er sich ohnehin beruhigt, und bis auf zwei Damen alle Affären beendet.
Nein, schlechtes Gewissen habe er eigentlich nicht. Wortwörtlich: „Ich bin ja ein anständiger Mensch. Ich habe niemanden umgebracht und niemanden betrogen…“ Seine Freunde würde ihm alle bestätigen, dass es ohnehin keinen Mann gäbe, der seine Frau nicht betrüge; die würden alle fremdgehen „obwohl die auch (sic!) alle gute, brauchbare Menschen“ wären.
Seine Selbsteinschätzung: „ich bin halt ein lustiger, gepflegter und sportlicher Typ, deswegen laufen mir die Frauen nach“. Später: „Ich hätte ja noch mehr Auswahl, aber man kann in jeder Hinsicht übertreiben, das würde dann massiv auf Kosten meiner Frau gehen, das würde mir gar keinen Spaß mehr machen, da hätte ich auch keine Zeit, weil ich oft zuhause bin, nein, eine Frau muss bei mir schon was Außergewöhnliches haben, damit ich zugreife“.
Mit den außerehelichen Beziehungen aufzuhören sei für ihn „fast undenkbar“, aber er wolle nichts mehr riskieren und es sei ihm sehr, sehr wichtig, dass seine Frau nicht enttäuscht werde.
Zum Thema Betrügen meint er: „Was ist überhaupt „betrügen“? Nur Geschlechtsverkehr? Das ist ja eigentlich nur eine sportliche Leistung, da sind keine Rückstände da… Viel schlimmer sind diese emotionalen Bindungen, und das würde ich niemals tun, dazu liebe ich meine Frau viel zu sehr.“
Warum er an diesem riskanten Hobby hänge: „Ich will den Genen keine Schuld geben, aber wahrscheinlich sind sie’s. Es gibt Männer, die wenig an Frauen interessiert sind, Männer, die gar nicht interessiert sind und welche, die sehr interessiert sind. Meine beiden Onkeln waren auch Weiberhelden – das soll natürlich keine Ausrede sein!“
Zum Schluss die Selbstanalyse: „Ich bin nicht sexsüchtig, es macht mir einfach Spaß. Ich sage nicht „das brauch ich unbedingt“. Das ist so wie Alkohol: ich kann auch ohne Bier leben, ich trinke aber gerne eines“.
„Ich habe kein Problem damit – meine Frau hat ein Problem mit der Situation…“ ANALYSE: Das Denken und die Selbstrechtfertigung des Alfred G. zeigt, welches Ausmaß Schuldverdrängung erreichen kann: Herr G. deutet sein Geheimhalten zur Rücksichtnahme um, zelebriert vor dem Therapeuten die Liebe zu seiner Frau, lobt sich als einer, der auf sein Herz aufpasst und hält sich für anständig, weil er niemanden „betrogen“ hat. Dabei übersieht er die Paradoxie seiner Aussage.