Nein, es reicht! So weisen Sie aufdringliche Menschen in die Schranken
Betreff: Wie kann ich mich gegenüber meiner Nachbarin verhalten?
Sehr geehrter Herr Dr. Bonelli,
Heute wende ich mich ratsuchend an Sie:
Es geht um die Beziehung zu meiner Nachbarin Jana, die ich nun seit 24 Jahren kenne. Diese Beziehung ist abwechselnd mal sehr intensiv, dann wieder nicht existent, wobei sowohl Kontaktsuche als auch Kontaktabbruch jeweils von ihr ausgehen. Wir sind beide Mitte 60 und Single.
Zurzeit ist wieder eine „Kontakt-Phase“: Jana kommt teilweise täglich zu mir. Vielleicht sucht sie ein offenes Ohr, etwas Mitgefühl und Bestätigung. Jedenfalls hat sie keine Familie und auch keine wirklichen Freunde, dafür aber eine starke Beziehung zu Tieren.
Sie hat einen weichen und sensiblen Kern und schüttet ihre ganze Liebe über allen Nachbars-Katzen, über Igeln, Eichhörnchen, Mäusen und Krähen aus, die sie hingebungsvoll füttert. Ihrer eigenen Aussage nach arbeitet sie trotz Schmerzen von früh bis spät fast bis zum Umfallen und kennt höchstens Zigaretten- oder Kaffeepausen.
Gelegentlich haben wir tatsächlich gute Gespräche. Gelegentlich kann ich ihr ehrlichen Herzens meine Hochachtung aussprechen, da sie trotz vieler Hürden ihr Leben erstaunlich gut meistert (z.B. mehrmals stationär wegen Angst und Panikattacken, dazu starke körperliche Beschwerden und durchaus ernste medizinische Diagnosen).
Aber sie hat die starke Tendenz mich zu überfordern. Sie hat keinerlei Gespür für Grenzen – ich dagegen übe immer noch Grenzen zu setzen (z.B. schon rein zeitlich). Wir sind also das „ideale Gespann“… Es kommt vor, dass sie noch um 22.30 Uhr anruft (ich beantworte das Telefon nicht mehr).
Wenn sie kommt, fordert sie (unausgesprochen) von mir, dass ich mich ihr sofort völlig zuwende, auf sie und die Themen, die sie beschäftigen, eingehe – am liebsten zeitlich unbegrenzt. Wenn ich ihre Erwartungen nicht erfülle oder sie bei mir irgendeine Reserviertheit spürt, sind ihre Vorwürfe stark verallgemeinernd, z.B.: „Ich habe bei dir immer das Gefühl…“. Auf Nachfrage stellt sich dann heraus, dass „immer“ eigentlich nur die letzte Begegnung gestern Nachmittag meint.
Wenn sie sich gekränkt fühlt, kann das einen plötzlichen Vulkanausbruch zur Folge haben. Vor vielen Jahren hat sie einmal in der Nacht ihre Wut in meinem Garten ausgetobt. Vor 3 Monaten hat jemand mutwillig meine neue Gartenliege beschädigt, so dass sie nicht mehr zu gebrauchen ist. Vorausgegangen war eine Situation, in der Jana sich über mich geärgert hat. Trotzdem konnte ich mir bis diese Woche nicht vorstellen, dass sie so etwas gemacht haben könnte. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher…
Vor wenigen Tagen kam sie und machte ihrer Empörung Luft über eine Sendung von Radio Horeb zum Thema Abtreibung. Ich wollte mich nicht auf eine Diskussion einlassen, da ich inzwischen gelernt habe, dass in einer derartigen Stimmungslage keine fruchtbaren Gespräche möglich sind. Es kommt mir dann jeweils so vor, als ob sie es vor allem darauf anlegt zu provozieren.
Sie ließ aber partout nicht locker, legte dann noch einen drauf und zog in Bausch und Bogen über die böse und scheinheilige Kirche her (Stichwort Missbrauch). Ich stand unwillig auf und machte etwas deutlicher und emotionaler als sonst klar, dass ich darüber jetzt nicht reden möchte.
Daraufhin ist sie völlig ausgeflippt, hat eine Flut von wüsten Beschimpfungen über mir ausgekippt und zog laut schimpfend ab. Eine Lieblingskeule ist dann jeweils: „Ihr seid doch alle Heuchler!“ (wieder die Verallgemeinerung), da sie weiß, dass ich gläubig bin. (Dabei hat sie auf ihre eigene und originelle Weise inzwischen durchaus selbst eine Gottesbeziehung.)
Als ich überlegte, wie das jetzt weitergehen soll, kam mir als erstes ein Wort aus dem Buch der Sprüche in den Sinn:
„Eine linde Antwort stillt den Zorn; aber ein hartes Wort erregt grimm.“ Ich wollte es nicht weiter eskalieren lassen und sah ein, dass ich auch besonnener und weniger emotional hätte reagieren können. Also schrieb ich ihr eine kurze Karte und entschuldigte mich. Seither ist „Funkstille“.
Danach räumte ich sicherheitshalber für die nächsten zwei Tage alle Blumenkübel und -töpfe, die ausgeliehene Gartenliege und alles, was mir sonst in meinem Garten lieb und teuer ist, in den Keller, da ich nicht riskieren wollte, dass sie in meiner Abwesenheit ihre Wut an meinen Blumen auslässt. Das ist allerdings mit 100% Gehbehinderung mühsam und ich möchte das nicht öfter machen müssen!
Jana und ich werden ja vermutlich noch etliche Jahre Nachbarn sein. Können Sie mir Tipps geben, wie ich mich ihr gegenüber weise verhalten kann? Gerne auch in einem YouTube-Video.
Vielen herzlichen Dank und mit vielen Grüßen an Sie und Ihr Team,
Ihre Lissy