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Der Vater als einsamer Tyrann

Anita (Anfang 20a) nimmt starke negative Emotionen gegenüber ihrem Vater wahr, der in ihren Augen die Familie schlecht behandelt. Sie verspürt den Wunsch, ihren Vater zu ehren, aber gleichzeitig verachtet sie ihn und macht ihn für die Depression ihrer Mutter verantwortlich. Ihr fällt es schwer, mit diesem inneren Konflikt umzugehen.

Betreff: Wie werde ich meinen Hass los?

Sehr geehrter Herr Bonelli,

ich habe ein großes Problem, das mich jetzt seit ca. zwei Jahren beschäftigt und über das ich mit niemandem reden kann.

Und zwar ist das der Hass und die Verachtung meinem eigenen Vater gegenüber, den ich loswerden will (also den Hass, nicht meinen Vater). Ich will ihn eigentlich ehren und respektieren, kann es aber kaum bis gar nicht.

Ich komme aus einer großen Familie, wir sind einige Kinder und leben alle noch zuhause. Ich bin eine der älteren (Anfang 20). Wir sind sehr gläubig und ich nehme den Glauben auch wirklich persönlich. (Deswegen bin ich auch so verzweifelt, weil sich meine Gefühle und Gedanken nicht mit dem Glauben vereinbaren lassen.)
Mein Vater ist auch gläubig, gibt uns immer viel aus der Bibel mit und betet mit uns. Sein Verhalten seiner Frau und oft auch uns Kindern gegenüber ist allerdings alles andere als christlich.

Er stellt unsere Mutter oft auf eine Stufe mit uns Kindern und behandelt sie von oben herab und demütigt sie, wenn sie nicht „kuscht“ in Anwesenheit von mir und meinen Geschwister – sei es durch abwertende Blicke, Ironie oder „Scherze“ die aber zutiefst abwertend sind oder auch durch direkte Angriffe. Meistens sagt unsere Mutter nichts dazu, und wenn sie es doch „wagt“, wird alles nur noch schlimmer. Ich sehe, wie fertig sie das macht und wie depressiv und teilnahmslos sie in letzter Zeit aussieht. Und das zerreißt mir das Herz.

Wenn ich sie ansehe, überkommt mich manchmal so eine starke Hasswelle auf meinen Vater, dass ich weggehen muss. In Gedanken beschimpfe ich ihn, male mir aus, wie es wäre, ihn anzuschreien und ihm meine Meinung zu sagen, wünsche ihm nur Schlechtes und in mir brennt es wie Feuer. Manchmal würde ich am liebsten alles um mich herum klein schlagen vor Wut und Machtlosigkeit.

Nach außen bin ich aber leise. Zu ihm bin ich meistens sehr kalt, drehe mich weg von ihm und beachte ihn so wenig wie möglich.

Danach habe ich ein schlechtes Gewissen.

Manchmal kommen aus mir auch respektlose Sachen heraus, allerdings meinen wahren Gefühlen entsprechend sehr abgeschwächt. Dann bekomme ich meist eine Predigt von ihm zu hören, die ich aber absolut nicht ernst nehmen kann, weil er ein Verhalten von uns verlangt, sich selbst aber komplett von seinen Ansprüchen ausnimmt. Und auch zu uns Kinder ist er respektlos, ungerecht und entwürdigend.

Manchmal ist es auch anders, dann kann man mit ihm normal reden und auch Spaß haben. Aber nur wenn seine Laune danach ist. Sonst wird man wegen jeder Kleinigkeit zur Schnecke gemacht und als Dummkopf dargestellt. Ich sehe auch an meinen Brüdern, wie verunsichert in ihrer ganzen Art sie sind, auch im Umgang mit anderen. Weil er sie ständig demütigt und nicht ernst nimmt. (Aber sonst kümmert er sich gut um uns, ist sehr fleißig und gewissenhaft etc).

Meine Frage ist, was Sie in dieser Situation raten würden. Meinen Sie, es wäre gut, Ihn darauf anzusprechen, wie schlecht er unser Mutter behandelt und wie schlecht es ihr dadurch geht? Und wie ungerecht er oft zu den Kindern ist? Oder wäre es klüger weiter zu schweigen und zu hoffen, dass er sich verändert? Wie kann ich meiner Mutter zur Seite stehen?

Ich will meinen Vater trotz dieser Umstände nicht hassen, sondern lieben, vergeben und ehren. Aber so ganz will ich es dann auch nicht, weil ich ihm ja zwar vergeben kann, wie er mich behandelt, aber nicht stellvertretend für meine Mutter.
Ich glaube sie ist auch nicht nachtragend, aber der Umstand, dass er ständig auf ihr rum trampelt, lässt sie glaube ich wirklich bald depressiv werde, wenn sie es nicht schon ist.

Kennen Sie vielleicht eine Methode oder haben Sie einen Rat, wie ich meinen Hass loswerden kann?

Mit freundlichen Grüßen,
Anita

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